Wolfgang Kubicki fordert Karl Lauterbach zum Rücktritt auf. Rücktrittsforderungen gegen den Gesundheitsminister gibt es seitdem er im Amt ist. Nie waren sie allerdings so fundiert begründet.
Der Bildzeitung liegt ein 13-seitiges Schreiben Wolfgang Kubickis vor. Darin äußert er sich dezidiert zu den Erkenntnissen der final ungeschwärzten RKI-Protokolle. Unter anderem wirft der FPD-Politiker dem Gesundheitsminister vor, nichts zur Aufklärung beigetragen zu haben – so unterdrückte er kritische Stimmen auch dann noch, als längst klar war, dass die mRNA-Impfung für viele Geimpfte schwerwiegende Folgen hatte.
Überhaupt habe Lauterbach über Monate seinem Ministerium Anweisung gegeben, keine Entwarnung zu geben. Die Beibehaltung hoher Alarmbereitschaft, auch dann, als im Rest der Welt bereits Entwarnungen getätigt wurden, sei »politisch unerwünscht« gewesen. Kubicki begründet seine Punkte mit den Stellen im RKI-Protokoll, die bis dato geschwärzt waren und erst kürzlich aufgedeckt wurden. Ein ehemaliger RKI-Mitarbeiter hat sie der Journalistin Aya Velázquez zugespielt.
Von wegen Fürsorge!
Immer deutlicher tritt hervor, dass die belassenen Schwärzungen, die in dem im März veröffentlichten Protokollen noch zu finden waren, nicht nur der Fürsorge entsprachen, wie es das Bundesgesundheitsministerium damals angab. Im Frühjahr hatte das Magazin Multipolar die Herausgabe vor Gericht erklagt. Eilig ließ man noch Passagen hinter schwarzen Balken verschwinden.
Offizielle Erklärung: Es handle sich um Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter. Nach weiteren öffentlichen Druck, verlautbarte das Ministerium Lauterbachs, man werde diese Persönlichkeitsrechte klären und dann ungeschwärzt veröffentlichen. Multipolar strebte nochmals eine Klage zu endgültigen Aufdeckung an. Der RKI-Whistleblower kam beiden zuvor.
Klar dürfte nun sein, dass es weniger um die Fürsorge des Karl Lauterbach ging, als um die Furcht, dass gewisse pikante Stellen in den Protokollen zu Fragen führen könnten.
Die stehen nun tatsächlich im Raum. Es ergibt sich das Bild, dass die Politik starken Einfluss auf das Robert-Koch-Institut genommen hat – auch wenn dieses eine wesentlich weniger dramatische Einschätzung zur Lage abgab und damit etwaige »Hygieneschutzmaßnahmen« als nicht zielführend und damit als übertrieben abtat, »verordnete« die Politik dem Institut und damit auch der Bevölkerung die drastischsten Maßnahmen und votierte für ein absolut übertriebenes Wording, das kritische Fragen von Haus auf unmöglich machen sollte. Die Politik erklärte in jenen Tagen immer wieder, sie folge der Wissenschaft – aber genau das trifft nicht zu, wie sich aus den Protokollen ergibt.
Natürlich muss man fragen, wie es dazu kommen konnte, dass der Vorsitzende des RKI regelmäßig während der Pandemie auf Pressekonferenzen sitzen konnte, um dort für die Maßnahmenpolitik zu werben und sie mitzutragen, die sein Institut nach Protokolllage in weiten Teilen für gar nicht zielführend hielt.
Wolfgang Kubicki fragt sich das auch – er gibt zu, er habe Etwaiges unterschätzt. Dass ein Minister per ordre de mufti alleine über wissenschaftliche Dienste hinweggeht etwa – das hat er nicht für möglich gehalten. Dass »unser gewaltengegliedertes System« das zulasse: Ein geradezu unglaublicher Vorgang.
Karriere dank Corona
Ohne Corona wäre Karl Lauterbach der geblieben, der er vormals war: Ein Hinterbänkler mit zugegebenen Wiedererkennungswert. Einer, der mal in Talkshows sitzt, wenn es um das Gesundheitssystem geht – den man aber schnell wieder vergessen hat. Schon damals versuchte er sich den Bürgern als Gesundheitsexperte und Arzt anzudrehen.
Als Arzt praktiziert hat er jedoch nie. Außerdem ist der Mann Gesundheitsökonom – was ein gravierender Unterschied ist. Als Arzt – der nicht in der Falle des herrschenden Gesundheitssystems steckt – tut man alles Menschenmögliche, um einen Patienten zu kurieren.
Ein Gesundheitsökonom allerdings reduziert das Menschenmögliche aus Gründen der Buchhaltung. Beides findet im Praxisalltag nur zusammen, wenn Ärzten aus Gründen der Budgetlimitierung die Hände gebunden sind.
Dann kam das Virus und die große Chance des Karl Lauterbach. Jenem Labor, das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Coronavirus freigesetzt hat, muss der Gesundheitsökonom auf ewig dankbar sein. Denn es hat ihm eine Ministerpension eingehandelt.
Vorher wäre das undenkbar gewesen. Der Mann galt als kaum vermittelbar – und das gar in seiner eigenen Partei. Man mied ihn, ertrug ihn, war aber nicht scharf darauf, ihn in ein Amt zu hieven. Nicht mal bei der letzten Bundestagswahl hofierte man den Mann, der sich in den Monaten zuvor als »kenntnisreicher Corona-Experte« feilbot. Auf Listenplatz 23 hatten die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten Karl Lauterbach gesetzt.
Nachdem sich die Ampel formiert hatte im Oktober 2021, wurden die Rufe nach einen Gesundheitsminister Lauterbach laut – die sich findenden Koalition spielte auf Zeit, knickte dann aber ein.
Laut wurden die Rufe via Social Media. Dort formierte sich ein »Team Lauterbach«, treue Anhänger seines Accounts, der in den Monaten zuvor für Furore sorgte. Denn Karl Lauterbach legte eine Entwicklung hin, die er anderen im Lande attestierte: Querdenkern zum Beispiel. Radikalisierung ist hier das Stichwort – der Gesundheitsökonom radikalisierte sich beträchtlich.
Via Twitter meldete er Kenntnisreichtum an, den er gar nicht aufwies und den mancher Virologe, Epidemiologe oder gar Arzt entlarvte. Panikmache gehörte zu seinem Repertoire, sein Account bombardierte Twitter mit Hysterie und nicht selten mit Falschinformationen.
Erinnert sei an jenen Tweet, in dem er warnte, Aerosole könnten aus der Toilette herausdampfen. Dem Autor dieser Zeilen ist zumindest ein Frankfurter Kindergarten bekannt, der offenbar bei Lauterbach mitgelesen hat. Denn dort wurden die Toilettennutzer nun heftig dazu aufgefordert, den Klodeckel auch immer geschlossen zu halten.
Der Karlatan
Es reizt ungemein, sich eine Werdegang Karl Lauterbachs auszumalen, der von Corona nicht tangiert wurde. Womöglich säße er heute noch in unregelmäßigen Abständen, verziert mit einer Fliege an der Gurgel, in diversen Fernsehstudios – die Fliege nahm er während der Pandemie ab.
Er begründete die Abkehr von seinem Lieblingsmodeaccessoire mit der Einsicht, dass Fliegenträger bei jungen Leuten womöglich nicht gut ankommen. Das sei nun aber wichtig, denn seine Expertise sei in diesem Moment ja auch für die Jugend von Relevanz. Der Lauterbach mit offenen Hemdkragen sollte vertrauenserweckend sein.
Das Hintergrund-Magazin, namentlich Thomas Kubo, schalteten Anfang 2023 eine sechsteilige Serie, die sich mit dem Wirken Karl Lauterbachs beschäftigte. Titel: »Der Karlatan«.
Ein treffenderes Wortspiel kann man sich nun wirklich nicht ausdenken. Es beinhaltet alles, was man über den Mann wissen muss – die RKI-Protokolle unterstreichen jetzt nur nochmal, was ohnehin offensichtlich war: Hier hat sich eine Person in ein Ministeramt geschlichen, hat dort selbstherrlich Kompetenzen an sich gezogen und die Absicht verfolgt, die Pandemie, die ihn zu seinem größten politischen Erfolg verhalf, noch möglichst lange hinauszuzögern.
Der Notstand war sein Paradies. Er gab ihm alles, was er sich vorher gewünscht hatte. Relevanz. Wichtigkeit. Aufmerksamkeit. In diesem Notstand konnte er eine ärztliche Attitüde an den Tag legen. Warnende Selbstsicherheit etwa. Besonnenheit und Zurückhaltung mimen. Damit konnte er endlich bei einer breiten Öffentlichkeit punkten.
Kaum waren neue Studien verfügbar, erklärte er via Twitter, was sie bedeuten – dabei erfuhr der Follower auch, dass er die Studien selbstverständlich gelesen habe. Sein Tag hatte offenbar 36 Stunden.
Lauterbach war ein Corona-Biest, ein Alleszermalmer bevor er Gesundheitsminister wurde. Über die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit argumentierte er massive Eingriffe, half dabei mit, das Klima im Lande zu verschlechtern und zu vergiften.
Der Rücktritt wäre an dieser Stelle fällig. Die RKI-Protokolle lassen keine andere Konsequenz zu. Sein Rücktritt wäre im Grunde die Richtigstellung der Geschichte: Denn Minister hätte er nie werden dürfen – es war ein Missverständnis. Ihm zugehört, ernstgenommen, für ihn den Klodeckel geschlossen zu haben: Schon das war ein Missverständnis.
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