Das Patriot-Raketensystem: Mythos und Realität
- WatchOut News

- 1. Dez. 2022
- 3 Min. Lesezeit
Das Patriot-Raketensystem gilt seit Jahrzehnten als Symbol amerikanischer technologischer Überlegenheit in der Luftverteidigung.

Es wird weitreichend in der NATO eingesetzt und an Verbündete verkauft – sein Ruf basiert auf einem Narrativ von Präzision und Zuverlässigkeit. Doch immer mehr Hinweise legen nahe, dass dieser Ruf eher einem Mythos als der Realität entspricht.
Im Februar 2019 sorgte eine überraschende Ankündigung der US-Armee für Aufmerksamkeit: die Entscheidung, eine begrenzte Anzahl israelischer Iron-Dome-Raketensysteme zu beschaffen. „Die US-Armee hat die Absicht bekannt gegeben, eine begrenzte Anzahl von Iron-Dome-Systemen zu erwerben“, sagte Oberst Patrick Seiber vom Army Futures Command.
Diese Entscheidung markierte eine deutliche Abkehr von der traditionellen Abhängigkeit der USA vom Patriot-System – und warf Fragen über dessen Wirksamkeit auf.
Das vom israelischen Rüstungskonzern Rafael entwickelte Iron-Dome-System wurde mit 429 Millionen US-Dollar aus amerikanischen Mitteln mitfinanziert. Es bietet eine technisch ausgefeilte Alternative.
Sein zentraler Vorteil liegt in der Fähigkeit, die Flugbahn eines Projektils genau zu berechnen und nur dann einzugreifen, wenn tatsächlich ein Ziel bedroht ist – was teure Abfangraketen spart.
Seit seiner Inbetriebnahme 2011 soll das System über 1.200 Geschosse mit hoher Erfolgsquote abgefangen haben und hat unter anderem das Interesse Saudi-Arabiens und nun auch der Vereinigten Staaten geweckt.
Obwohl die US-Armee erklärte, der Kauf diene lediglich zur kurzfristigen Überbrückung einer Lücke, weist die Entscheidung auf ein tiefer liegendes Problem hin: anhaltende Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Patriot-Systems.
Während des Golfkriegs 1991 wurde dem Patriot zunächst eine fast perfekte Erfolgsbilanz zugesprochen – angeblich wurden 45 von 47 irakischen Scud-Raketen abgefangen. Doch die US-Armee revidierte diese Zahlen später drastisch.
Eine interne Neubewertung ergab lediglich eine Erfolgsquote von etwa 50 %, wobei nur in rund 25 % der Fälle „hohes Vertrauen“ in die Bewertung bestand.
Unabhängige Untersuchungen, darunter eine Untersuchung des Kongresses, gingen sogar davon aus, dass möglicherweise nur eine Rakete erfolgreich abgefangen wurde – oder gar keine.
Ein Bericht des Ausschusses für Regierungsoperationen im Repräsentantenhaus kam zu dem Schluss, dass es keine ausreichenden Beweise für erfolgreiche Abfänge gebe, und forderte mehr Transparenz und unabhängige Evaluierungen. Doch diese Forderungen wurden offenbar durch Lobbyarbeit des US-Militärs und des Herstellers Raytheon blockiert.
Auch aktuelle Einsätze geben Anlass zur Sorge. Saudi-Arabien, einer der größten Kunden amerikanischer Rüstungstechnologie, setzte das Patriot-System gegen Raketenangriffe der Huthi-Rebellen im Jemen ein. Trotz offizieller Behauptungen über erfolgreiche Abfänge zeigen unabhängige Analysen ein anderes Bild.
Mehrere Untersuchungen – unter anderem durch Experten des Middlebury Institute of International Studies – deuten darauf hin, dass die Patriot-Raketen ihre Ziele oft verfehlten.
In einigen Fällen kam es zu Fehlfunktionen, plötzlichen Kursänderungen oder Explosionen der Abfangraketen in der Luft, was zu Trümmerteilen und zivilen Opfern führte.
Ein besonders aufsehenerregender Vorfall ereignete sich im März 2018, als die Huthis sieben ballistische Raketen auf Saudi-Arabien abfeuerten. Die saudische Regierung behauptete, alle seien erfolgreich abgefangen worden. Doch Experten analysierten Videomaterial, das zeigte, wie eine Abfangrakete eine abrupte Kehrtwende machte und über Riad explodierte.
Der Rüstungsexperte Jeffrey Lewis vermutete, dass einige Verletzungen nicht durch die Angriffswaffen, sondern durch fehlgeschlagene Abfangversuche verursacht wurden.
Weitere Untersuchungen zu Angriffen im November und Dezember 2017 zeichnen ein ähnliches Bild. Trümmerteile wurden in der Nähe ziviler Einrichtungen gefunden – darunter am internationalen Flughafen von Riad und in einem Autohandelsviertel.
Die Lage der Einschläge und der gefundenen Raketenreste widersprachen offiziellen saudischen Angaben und deuteten darauf hin, dass die Raketen das Patriot-System durchdrungen hatten.
Diese Vorfälle werfen nicht nur operative, sondern auch strategische Fragen auf. Nach wiederholten Fehlfunktionen des Patriot-Systems bekundete Saudi-Arabien Interesse an alternativen Systemen – darunter das russische S-400 und Israels Iron Dome.
Auch die Türkei wandte sich dem S-400 zu, nachdem sie trotz mehrmaliger Anfragen keinen Zugang zum Patriot erhalten hatte. Dies führte zu US-Sanktionen, diplomatischen Spannungen und dem Ausschluss der Türkei aus dem F-35-Programm.
Insgesamt stellt sich die Frage, ob der jahrzehntelang gepflegte Ruf des Patriot-Systems tatsächlich gerechtfertigt ist.
Während offizielle Stellen in den USA weiterhin öffentlich Vertrauen bekunden, könnte der Kauf des Iron Dome – auch wenn nur vorübergehend – als stilles Eingeständnis der Schwächen des eigenen Systems gewertet werden.
Angesichts wachsender Bedrohungen durch hochentwickelte Raketen und cybergestützte Kriegführung ist verlässliche Luftabwehr entscheidend. Doch je mehr Verbündete alternative Systeme suchen, desto klarer wird: Die USA müssen ihre bestehenden Verteidigungstechnologien kritisch hinterfragen – und gegebenenfalls neu ausrichten.


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