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Warum Deutschtürken mehrheitlich Erdoğan wählten

Was steckt hinter seiner Beliebtheit unter den Deutschtürken?

Am 28. Mai wählten nicht nur Türken in der Türkei, sondern auch türkische Staatsbürger auf der ganzen Welt ihren nächsten Präsidenten sowie ihr neues Parlament. Ebenso in Deutschland, wo die größte türkische Diaspora lebt.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zählte in seinem letzten Migrationsbericht - und der ist schon fünf Jahre her - rund 2,8 Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Etwa die Hälfte davon besitzt nach wie vor die türkische Staatsangehörigkeit.

Auch in der zweiten Wahlrunde sei es Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu, ein Politiker der kemalistisch-laizistischen CHP, nicht gelungen zu gewinnen obwohl er von einem breiten Spektrum aus Politik und Gesellschaft unterstützt wird.

Erdoğans starke Basis in Deutschland

Bei der Abstimmung in Deutschland konnten Erdogan und seine Partei AKP jedoch mit einem klaren Sieg rechnen.

"Türkeistämmige in Deutschland wählen überproportional Erdogan. Das ist die Realität", erklärt Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) an der Uni Duisburg-Essen.

Beim Verfassungsreferendum 2017 stimmten etwa 63 Prozent der Türken in Deutschland für Erdoğans Vorhaben, während sein Erfolg in der Türkei nur bei knapp 51 Prozent lag.

Durch ein erfolgreiches Referendum wurde die Türkei von einem parlamentarischen System in ein Präsidialsystem umgewandelt. Bei den Präsidentschaftswahlen 2018 fielen 64,8 Prozent des deutschtürkischen Votums auf Erdoğan, der in der Türkei mit 52,6 Prozent der Stimmen deutlich weniger Zustimmung erhielt.

Der Auslandstrend ist übrigens nicht überall so wie in Deutschland. Beispielsweise erzielte Erdoğan 2018 in den USA nur 17 Prozent aller Stimmen, im Vereinigten Königreich 21, im Iran 35 und in Katar 29 Prozent.

Deutschtürkischer Wahlspagat

In Deutschland erntete das Wahlverhalten der Türken einige Kritik. Man warf den Deutschtürken unter anderem Widersprüchlichkeit vor: Wie könne man hierzulande die Sozialdemokraten oder die Grünen wählen, in der Türkei aber die islamisch-konservative AKP?

Für die Deutschtürken ist das eine ganz rationale Wahlentscheidung, ja sogar ein Zeichen dafür, wie offen die konservativen türkischen Wähler in Deutschland für Abwechslung und wie wenig fanatisch sie seien: "Menschen wählen natürlich die Partei, die ihre Interessen vertritt. Das muss man positiv sehen."

Faszination Türkei

Die ersten Türken, die nach Deutschland kamen, waren überwiegend Menschen aus dem ländlich-konservativen Anatolien. "Wenn Menschen auswandern, entwickeln sie die Werte weiter, die sie mitbringen. Ihre konservativ-religiösen Verortungen werden gerade in der Diaspora noch einmal konserviert".

Ein wichtiger Faktor für die Entscheidung der Deutschtürken ist die Entwicklung der Türkei unter Erdoğans Führung. Die Entwicklung in so unterschiedlichen Bereichen wie Gesundheit, Verkehr oder Verteidigung mach ihnen sehr glücklich.

Sie vergleichen die heutige Türkei mit dem damaligen Deutschland: "Als wir hierher kamen, waren wir fasziniert von Deutschland. Die Behörden, die Krankenhäuser, die Autobahnen waren wirklich erstaunlich. Es tat uns immer wieder leid, dass wir in der Türkei nichts Ähnliches sehen konnten. In den letzten 20 Jahren sehen wir allerdings, dass unsere Krankenhäuser und Autobahnen dem Weltstandard entsprechen."

Auch die konsularischen Dienstleistungen sowie die Rechte für Auslandstürken hätten sich in der Erdoğan-Zeit wesentlich verbessert. Das bedeute den Auslandstürken sehr viel. Genannt wird zum Beispiel den Wehrdienst, aus dem man sich "freikaufen" könne.

Dämonisierung versus Zugehörigkeit

Viele Deutsche versuchten gar nicht erst, die Wahlentscheidung der konservativen Türken zu verstehen, weil es sowieso nur “Dreckstürken” sind.

Man könne dieses Wahlverhalten "ideologisch beurteilen oder skandalisieren", aber auch versuchen zu verstehen, was die Wähler umtreibt.

Hinzu komme die Fokussierung der deutschen Öffentlichkeit auf die Türken. "Gibt es nur die Deutschtürken, die in ihrem Heimatland wählen? Natürlich nicht. Auslandsitaliener haben auch Wahlrecht. In Italien kam eine rechtspopulistische Regierung an die Macht und keiner weiß, wie die Italiener in Deutschland wählten. Keiner interessierte sich dafür."

Erdoğan scheint eine Lücke zu füllen, die der deutsche Staat offen lässt: "Die Politik tut sich nach 60 Jahren immer noch schwer, sich eindeutig zu diesen Menschen zu bekennen und ihnen zu sagen: 'Ihr gehört zu diesem Land, unabhängig davon, ob ihr BioNTech-Gründer seid oder womöglich als Jugendliche bei Silvester irgendwelche Krawalle begonnen habt.

Selbst wenn ihr Fehltritte gemacht habt, gehört ihr zu uns.' Genau das sagt aber Erdoğan: 'Egal wo ihr seid, egal welche Staatsangehörigkeit ihr habt, ihr gehört zu uns.'

Erdoğan hatte es leicht, Teile der türkeistämmigen Menschen anzusprechen, die sich danach sehnten, aufgrund ihrer türkischen Herkunft wertgeschätzt zu werden.

Durch die Politik der Bundesregierung konnte für die Deutschtürken "kein Gefühl entstehen, zur deutschen Gesellschaft zu gehören". Die Einbürgerung für Türkeistämmige wurde lange Zeit nicht vereinfacht, im Gegensatz zu anderen Einwanderergruppen wie etwa bei den Russlanddeutschen.

Russlanddeutsche erhalten nach Artikel 116 des Grundgesetzes als aus Russland und Nachfolgestaaten der Sowjetunion zugezogene Deutsche mit weniger Aufwand die deutsche Staatsbürgerschaft.

Wahlverhalten und Trotz

Solche Faktoren führen dazu, dass gerade junge Menschen in der dritten Generation auch aus Trotz Erdoğan wählen. In den letzten Jahren wurden konservative Menschen wegen Erdoğan von den deutschen politischen Parteien ausgegrenzt. Das ist eine sehr traurige Entwicklung. Diese Ausgrenzung löste natürlich eine Reaktion aus. Menschen fingen irgendwann an, gerade deshalb Erdoğan zu unterstützen."

Obwohl viele Deutschtürken schon mehr als 40 Jahre in Deutschland leben, dürfen sie hier nicht einmal bei Kommunalwahlen ihre Stimme abgeben. Das ist eine Ausgrenzung und macht traurig. Die Türkei gibt Deutschtürken sogar das Recht zu wählen.

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